Die Hämophilie – bisher nicht heilbar, aber behandelbar
Da Gerinnungsfaktoren Eiweißstoffe sind, würden sie bei Gabe über den Magen direkt verdaut werden. Aus diesem Grund können Gerinnungsfaktoren nicht als Tablette eingenommen, sondern müssen „intravenös“ gespritzt werden, das heißt über eine Vene direkt in den Blutkreislauf. Hämophilie ist leider nicht heilbar und wird Betroffene ein Leben lang begleiten – und somit, in Abhängigkeit vom Schweregrad der Erkrankung, auch das Spritzen. Das ist für viele im ersten Moment eine schockierende Nachricht. Im Hämophilie-Behandlungszentrum sind Patienten mit Hämophilie und Eltern von Jungen mit Hämophilie in verständnisvollen Händen und erhalten gezielte Schulungen, sodass sie das Spritzen rasch selbst zu Hause übernehmen können.
Wie oft und wie viel muss gespritzt werden?
Grundsätzlich unterscheidet man die „On-demand“-Behandlung (übersetzt „nach Bedarf“) und die durchgehend angewendete „Prophylaxe“. Bei der „On-demand“-Behandlung wird nur bei akutem Bedarf gespritzt, also um eine auftretende Blutung zu stoppen. Bei der prophylaktischen Faktorgabe wird regelmäßig und vorbeugend Faktor gespritzt, um Blutungen bereits im Vorfeld zu verhindern. Für alle Patienten mit schwerer Hämophilie ist eine prophylaktische Behandlung heute die Therapie der Wahl,1 auch um die Gefahr von eventuellen Folgeschäden durch Blutungen so gering wie möglich zu halten. Die Häufigkeit des Spritzens hängt vom Typ der Hämophilie ab (A oder B), vom Schweregrad der Erkrankung, vom Lebensalter und vom jeweiligen Faktorpräparat. Übliche Intervalle reichen von einmal wöchentlich bei Säuglingen bis zu jeden zweiten Tag bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Die Fortsetzung der prophylaktischen Therapie im Erwachsenenalter wird heute als Standard empfohlen. Die Faktormenge, also die benötigte Dosis, wird in internationalen Einheiten pro Kilogramm Körpergewicht (I.E./kg) angegeben und für jeden Patienten individuell vom Hämophiliezentrum berechnet.
Regelmäßige Behandlung lohnt sich
Der Anteil an Hämophilie-Patienten, die sich einer prophylaktischen Therapie in Form regelmäßiger Faktorsubstitutionen unterziehen, ist in den letzten Jahrzehnten deutlich gestiegen. Während man eine regelmäßige Behandlung früher fast ausschließlich im Kindesalter als wichtig erachtete, weiß man heute, dank entsprechender Studien, dass man mit einer regelmäßigen prophylaktischen Behandlung auch im Erwachsenenalter entscheidende Verbesserungen der Therapieergebnisse erzielen kann, insbesondere bei einer schweren Hämophilie.2, 3 Vor allem bei Kindern kann jede verhinderte Gelenkblutung dauerhafte Schäden minimieren. Als Ziel wird aktuell eine Null-Gelenksblutungsrate angestrebt. Wer keine Blutungen bekommt hat kein zusätzliches Risiko.3 Auch im Erwachsenenalter kann eine regelmäßige prophylaktische Behandlung zu einer drastischen Reduktion von Gelenkblutungen und deren Folgen führen und die Lebensqualität der Patienten stark verbessern.4
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Manco‐Johnson MJ, Kempton L, Reding MT, et al. Randomized, controlled, parallel‐group trial of routine prophylaxis vs. on‐demand treatment with sucrose‐formulated recombinant factor VIII in adults with severe hemophilia A (SPINART). J Thromb Haemost. 2013
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Makris M. Prophylaxis in haemophilia should be life-long. Blood Transfus. 2012;10(2):165–168.
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Manco-Johnson MJ, Abshire TC, Shapiro AD, et al. Prophylaxis versus episodic treatment to prevent joint disease in boys with severe hemophilia. N Engl J Med. 2007;357(6):535-544.
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Collins P, Faradji A, Morfini M, et al. Efficacy and safety of secondary prophylactic vs. on-demand sucrose-formulated recombinant factor VIII treatment in adults with severe hemophilia A: results from a 13-month crossover study. J Thromb Haemost. 2010;8:
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Collins P, Fischer K, Morfini M, et al. Implications of coagulation factor VIII and IX pharmacokinetics in the prophylactic treatment of haemophilia. Haemophilia. 2011;17:2–10.